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Nahezu 30 Prozent der Bevölkerung leben in einer Welt, die nicht für sie gemacht ist. Sie sind Linkshänder und kämpfen nicht nur täglich mit einem auf rechts genormten Alltag, sondern auch mit vielen Vorurteilen, die sich sogar in unserer Sprache wieder spiegeln: Wer linkisch ist, zwei linke Hände hat oder mit dem linken Fuß aufsteht, ist vermeintlich nicht auf dem rechten Weg.
Linkshänder richtig fördern
Eltern, die nichts falsch machen wollen, sind verunsichert, wenn ihr Kind die rechte Hand links liegen lässt. „Gib´ das schöne Händchen“, bläute man ihnen noch ein und dass man nur mit rechts schreibt und isst. Und so geben viele das Spielzeug immer wieder in die rechte Hand, platzieren den Löffel rechts vom Teller oder üben die „richtige“ Begrüßung. Ganz falsch, sagen Experten wie Dr. Johanna Barbara Sattler, die 1985 Deutschlands erste Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder ins Leben gerufen hat. Ihr Credo: Linkshänder sind nicht weniger intelligent oder geschickt und genauso normal wie ihre rechtshändigen Zeitgenossen, sie werden aber in ihrer Entwicklung meist nicht richtig unterstützt. Deshalb will die approbierte Psychotherapeutin und Psychologin über Linkshändigkeit und die schwerwiegenden Folgen einer Umschulung der Händigkeit aufklären, Prävention betreiben und Hilfestellung für linkshändige Erwachsene und Kinder samt Eltern sowie umgeschulten Linkshändern leisten. So bietet Frau Dr. Sattler Beratungen für Kinder und Erwachsene, führt Testuntersuchungen der Händigkeit durch und vermittelt bei Bedarf Kontakte zu anderen Fachleuten wie Ergotherapeuten, Ärzten, Psychologen oder Sozialpädagogen. In der Beratungsstelle gibt es außerdem Listen mit Läden und Versandgeschäften von Linkshandprodukten, ein Info-Blatt zur Schreibhaltung sowie Literaturtipps und Veranstaltungshinweise zum Thema.
Händigkeit ist angeboren
Linkshändigkeit ist keine schlechte Angewohnheit oder eine merkwürdige Ausprägung, sondern angeboren, im Gehirn festgeschrieben und meist vererbt. Ist die rechte Gehirnhälfte die dominante, wird die linke Hand die Führungshand (und umgekehrt). Deshalb kann man aus einem linkshändigen Kind niemals einen Rechtshänder machen. Versucht man es trotzdem, greift man in grundlegende Prozesse des Gehirns ein: die Hälfte mit dem Bewegungszentrum für die dominante Hand wird gehemmt, die andere permanent überfordert.
Auch wenn man „nur das Beste“ für sein Kind wollte – eine Umerziehung kann schwerwiegende Folgen haben: Gedächtnisprobleme, Konzentrations-schwierigkeiten, Legasthenie, feinmotorische Störungen, Verwechseln von links und rechts,Sprachprobleme und dadurch bedingt Minderwertigkeitskomplexe, psychosomatische,neurotische und Verhaltensstörungen. Bei Kreisspielen zum Beispiel fällt die Orientierung schwer, in der Schule werden die 6 und 9, das b und d oder das p und q verwechselt. Am Ende hat man aus einem normalen Linkshänder einen ungeschickten, gehandikapten Rechtshänder gemacht,der mit rechts niemals die Fertigkeit erreichen wird, die mit seiner dominanten linken Hand möglich wäre.
Händigkeit unterstützen
Die Händigkeit ist meistens bis zum dritten, spätestens jedoch bis zum 6. Lebensjahr entwickelt. Bis dahin sei Eltern und Erziehern empfohlen, eine Wertung der Benutzung einer bestimmten Hand zu unterlassen und das Kind bei der Ausführung von Tätigkeiten die Hand stets selbst wählen zu lassen. Das gilt umso mehr für besonders ehrgeizige Kinder, die sich schon früh auf die Wünsche der Umwelt einstellen, nicht auffallen oder nicht anders als die Freunde sein wollen.Für diese Kinder ist die Entwicklung und Stärkung ihres Selbstbewusstseins, auch in Bezug auf ihre Händigkeit, besonders wichtig. Spielzeug also lieber in die Mitte legen oder reichen, den Löffel für das Essen mittig mit dem Griff zum Kind hindecken. Bei der Auswahl von Spielzeug und Gebrauchsgegenständen sollte auf beiderseitige Verwendbarkeit geachtet werden. Die so beliebten Baby-Schräglöffel zum Essen lernen, die ausschließlich den rechtshändigen Gebrauch gestatten,sind deshalb für Linkshänderberater ein rotes Tuch. Ganz gleich, ob links oder rechts, die jeweilige Händigkeit sollte nach Kräften unterstützt und damit eine gesunde Entwicklung gefördert werden. Linkshänder haben es nicht zwangsläufig schwieriger im Leben, sie schreiben nicht langsamer oder schlechter und sind auch nicht ungeschickter. Oft haben sie einfach nur gar keine, schlechte oder falsche Förderung erfahren.
Kinder, die noch nach dem 4. Lebensjahr einen häufig wechselnden Handgebrauch aufweisen oder deren Händigkeit vor Schuleintritt nicht klar ersichtlich ist, sollten einem Experten, etwa einem Ergotherapeuten oder Heilpädagogen, zur Testung vorgestellt werden.Wird dagegen bis zur Einschulung keine Hand ausreichend geschult, drohen ernsthafte Lernprobleme. Defizite in Fein- und Grobmotorik bleiben unentdeckt und damit unbehandelt. Schlimmstenfalls wird ein beidhändig hantierendes,aber eigentlich linkshändiges Kind in die Rechtshändigkeit gedrängt,wobei Ablaufprozesse im Gehirn empfindlich gestört und die schon oben genannten negativen Folgen ausgelöst werden können.
Kinder sollten über Führungshand selbst entscheiden
Wer sein Kind aufmerksam beobachtet, wird schnell (manchmal schon ab dem 6.Monat) erkennen, welche seine Führungshand ist. Beim Würfeln, Perlen zählen, Zähne putzen, Blumen gießen, Kämmen, Radieren oder Licht ein- und ausschalten ist die dominante Hand meist leicht auszumachen. Ist es die linke, gestatten Sie das linkshändige Agieren unbedingt und erleichtern dieses durch linkshandgerechte Gebrauchsgegenstände wie Schere, Spitzer, weiche, dreieckige Stifte, Füller, Kartoffelschäler, Dosenöffner, Messer, Computerzubehör und Spielzeug, bei dem die linke Hand nicht benachteiligt wird. Wollen rechtshändige Eltern ihrem linkshändigen Kind zeigen, wie man einen Knoten macht, Schuhe bindet oder häkelt, setzt man sich dem Kind einfach gegenüber, so dass die Bewegungen spiegelbildlich nachzuvollziehen sind. Besonderes Augenmerks ollte man bei Linkshändern dem Schreiben lernen schenken, denn bei falscher Schreibhaltung können Linkshänder das eben Geschriebene nicht sehen und beim Schreiben mit Tinte die Buchstaben verwischen. Überdies gilt es, eine verkrampfte und ermüdende Mal- und Schreibhaltung zu vermeiden.
Typisch und in der Kindergartenzeit noch völlig normal für linkshändige Kinder ist das Schreiben in Spiegelschrift. Eine Erklärung, dass unsere Buchstaben von links nach rechts weisen und gegebenenfalls ein Punkt am linken Zeilenrand als Markierung des Schreibbeginns helfen vielen Kindern. So können falsche, später schwer zu korrigierende Automatisierungen vermieden werden. In speziellen Kindergruppen zum Malen, Basteln und zur Schreibvorbereitung können Linkshänder eine lockere und entspannte Schreibhaltung erlernen und üben. Hier wird zudem das Selbstverständnis des Kindes als Linkshänder gefördert, ohne die Händigkeit ausdrücklich zu thematisieren. Denn auch ein Zuviel an Aufmerksamkeit für die Linkshändigkeit ist nicht förderlich und verunsichert Kinder eher. Damit der linkshändige Alltag gelingt, sollten Eltern versuchen,auch Erzieher und Lehrer möglichst früh mit einzubeziehen. Viele sind mittlerweile offen für die Belange von Linkshändern. Seit 2001 verfügt das Land Bayern übrigens über einen Lehrplan für Vor- und Grundschüler,der auch die Belange der Linkshänder detailliert berücksichtigt.
Wichtige Literatur zum Thema:
Sattler, Johanna Barbara, Schreibvorübungen für Linkshänder mit Jobasa, Teil 1 und 2, Auer Verlag
Sattler, Johanna Barbara, DESK-PAD Lefty , Schreibunterlage für Linkshänder, Auer Verlag, KUM

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Gibt es noch Druck zur Rechtshändigkeit?
Ein Interview mit Dr. Barbara Sattler von linkshaender-beratung.de
Frau Dr. Sattler, gleich vorweg wir sind im Jahr 2018 – gibt es noch Druck der Gesellschaft zur Rechtshändigkeit?
Druck nicht mehr direkt, eher Gedankenlosigkeiten wie „Gib doch das schöne Händchen“ oder Unwissen, z.B. bei Musiklehrern, die beim Erlernen eines Instrumentes nicht auf die Bedürfnisse von Linkshändern eingehen.
Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit diesem Thema?
Eigentlich bereits seit meinem Studium.
Nach Ihren Erkenntnissen: Wie hoch ist der Linkshänderanteil in unserer Bevölkerung?
Nach meiner Erfahrung kann ich sagen: bei 20 bis 30 Prozent.
Wie sehr sind Eltern heute noch geprägt von ihrer eigenen Erziehung, so dass sie die Linkshändigkeit ihres Kindes nur schwer akzeptieren können?
Die meisten Eltern sind heute sehr offen und sensibel für die Bedürfnisse ihres linkshändigen Kindes. Manchmal sind Eltern anfangs verunsichert,dann kommt schon mal ein „Warum habe ich kein normales Kind?“ über die Lippen.
Die Frage nach der Händigkeit gehört Ihrer Meinung nach zur U-Untersuchung beim Kinderarzt. Sind die Kinderärzte auch davon überzeugt?
Idealerweise fragt der Kinderarzt bei der U7 und auf alle Fälle bei der U8 nach der Händigkeit des Kindes. Viele Ärzte tun das mittlerweile auch. Allerdings ist es wohl noch ein langer Weg, bis die Händigkeit im U-Heft vermerkt werden kann. Hier spielen auch finanzielle Fragen eine Rolle, denn bei unklarer Händigkeit wäre eine Abklärung beim Spezialisten notwendig, was für die Krankenkassen weitere Kosten nach sich ziehen würde.
Gibt es genügend Schulungsangebote für Erzieher und Lehrer?
Auf jeden Fall. Über 500 zertifizierte Linkshänder-Berater stehen für eine Fortbildung zur Verfügung. Wünschenswert wäre, dass dieses Angebot noch mehr angenommen wird.
Sind alle Ergotherapeuten auch Spezialisten für Probleme von Linkshändern?
Nein, hier sollte man sich genau nach dem Fachgebiet des Ergotherapeuten erkundigen. Am besten, man wendet sich an die Linkshänder-Beratung,die Experten nennen können.
Welche Entwicklung zugunsten der Linkshänder freut Sie am meisten?
Dass Linkshänder nicht mehr umgeschult werden und es viel weniger Vorbehalte gegen Linkshänder gibt.
Wofür müssen Sie sich als Fürsprecherin der Linkshänder in unserer rechtshändigen Welt noch besonders einsetzen?
Linkshändigkeit ist ganz normal und genauso selbstverständlich müssen wir schon den Kleinsten die richtige Blattlage und Stifthaltung beim linkshändigen Malen und Schreiben von Buchstaben und Zahlen beibringen. Je später Korrekturenan der Schreib- und Blatthaltung erfolgen, desto schwerer tut sich das Kind. Deshalb ist es enorm wichtig, dass Händigkeit auch im Kindergarten ein Thema ist, dass nicht vernachlässigt wird. Bislang findet man die Thematik „Blattlage/Stifthaltung“ leider nur den Lehrplänen für Grundschule. Der Übergang vom Kindergarten in die Schule könnte für Linkshänder viel einfacher gelingen, wenn schon in den Bildungsplänen für den Kindergarten Wert auf die richtige Förderung auch von Linkshändern gelegt werden würde. Viel Aufklärungsbedarf gibt es auch noch in der Berufswelt. Auch ein Linkshänder hat ein Recht auf einen ergonomischen Arbeitsplatz. Da gibt es noch viel aufzuklären und zu verbessern.
Seit 2003 bieten wir regelmäßig Kindergruppen zur Einübung einer lockeren Schreibhaltung mit links für Vorschulkinder und Erstklässlerin Kitas an. (www.lefthander-consulting.org/deutsch/KindergruppeLHBerater.htm)
Sollten Linkshänder lautstärker auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam machen?
Unbedingt. Linkshändigkeit muss als ebenso normal empfunden werden wie Rechtshändigkeit.