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Schule und Sport
„Toben macht schlau!" – Die Sportnation bleibt sitzen: Die motorischen Fähigkeiten deutscher Kinder haben sich drastisch verschlechtert“ titelte Deutschlands größte Wochenzeitung „Die Zeit“ schon vor gut einem Jahrzehnt.
In der Frankfurter Rundschau war zu lesen, dass „Eltern joggen, Kinder hocken – und der Rücken schmerzt“. Landauf, landab wird die Gesellschaft mit solchen oder ähnlichen Schlagzeilen konfrontiert, deren gemeinsamer Tenor darauf hinausläuft, dass sich Kinder heutzutage zu wenig bewegen. Folgen hiervon sind: eine verschlechterte motorische Leistungsfähigkeit, Haltungsschwächen und Rückenschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Übergewicht und steigende Unfallzahlen. Andererseits sind aber auch Tendenzen erkennbar, die in die entgegengesetzte Richtung zu gehen scheinen. So zelebrieren auffallend viele Kinder und Jugendliche auf der Straße die neuesten Trendsportarten oder gehören schon früh einem Sportverein an.
Wie wichtig regelmäßige Bewegung im TV- und Computerzeitalter ist, um Übergewicht bei Heranwachsenden zu vermeiden, haben wir schon mehrfach beleuchtet. Wenn wir den Bewegungsdrang unserer Kindes fördern, dann schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass es seine genetischen Anlagen voll ausprägen kann.
Im Spielen mit verschiedenen Gegenständen lernen Kinder unterschiedliche Formen kennen. Das Lernen von Buchstaben beispielsweise, also von zweidimensionalen Objekten, gelingt so leichter. Durch die Bewegung im Raum sammeln Kinder Erfahrungen, die ihnen später das räumliche Vorstellungsvermögen erleichtern, z. B. bei abstrakten Rechenoperationen. Bewegungen unterstützen die Entwicklung des Gefühls für Geschwindigkeit, Zeit und Rhythmus. Kontinuierliche Abfolgen, z.B. von Buchstaben, Wörtern oder Zahlen beim Sprechen, Lesen und Zählen werden so besser verstanden.
Durch Bewegungen nehmen Kinder ihre Welt „sinnlich“ war. Verantwortlich dafür ist das Sinnessystem. Seine Funktionstüchtigkeit ist die Grundlage für das geistige und motorische Lernen. Die bekanntesten Sinne sind Hören, Sehen, Riechen, Schmecken sowie der Tastsinn. Jeder Sinn, vor allem der Tastsinn, übermittelt eine Vielzahl von Reizen (z. B. über Druck, Temperatur, Schmerz etc.), die aber nicht alle gleichermaßen bewusst werden. Um sich gegen eine solche sinnliche „Reizüberflutung“ zu schützen, lernt ein Mensch mit der Zeit, bestimmte Reize zu unterdrücken. Wenn dies jedoch nicht gelingt, kann das mit Schwierigkeiten verbunden sein. Ein Kind, das beispielsweise besonders empfindlich auf Lautstärke, Lichtreize oder Berührungen reagiert, kann sich nur schwer auf die eigentlich wichtige Lernaufgabe konzentrieren. Übermäßiger Konsum moderner Medien kann dazu beitragen, dass vor allem der Hör- und der Sehsinn überstimuliert werden.
Durch Bewegung wird das Bewegungsgefühl (Lage, Bewegung und Veränderung im Raum) und der Gleichgewichtssinn trainiert. Diese beiden weniger bekannten Sinne sind etwa dafür verantwortlich, dass Ihr Kind kontrollierte und koordinierte Bewegungen ausführen kann (wie z. B. unverkrampftes Schreiben) und es in der Lage ist, still zu sitzen. Ist z. B. der Gleichgewichtssinn nicht ausreichend entwickelt, hat das Kind in der Regel eine geringe Muskelspannung und wird so schnell müde – auch aufrechtes Sitzen fällt ihm schwer.
Lesen, Schreiben und Rechnen sind also komplexe Vorgänge, bei denen ein Kind sowohl geistige als auch eine Vielzahl motorischer Leistungen fein aufeinander abstimmen muss. Je mehr Bewegungserfahrungen Kinder sammeln können, umso wahrscheinlicher ist es, dass dieser Prozess gut gelingt und auch älteren Kindern bzw. Jugendlichen das Lernen erleichtert.
Das rückt den Sportunterricht an den Schulen und die Frage nach dem optimalen Schulsport verstärkt ins Rampenlicht. Der klassische Sportarten-Kanon wird zunehmend durch Trendsportarten ergänzt.
Bereits eine Stunde Sport senkt das Frustrations- und Aggressionspotential der Kinder, erhöht ihre motorische Leistungsfähigkeit und verringert ihr Unfall-Risiko. Erfolge im Sport stärken das Selbstvertrauen. Auch Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft werden durch regelmäßige Bewegung größer - der Grund: Die Sauerstoffaufnahme sowie die Gehirndurchblutung wachsen. Langes Sitzen gehört übrigens grundsätzlich nicht zu unserem genetischen Programm - Grundschüler schaffen dies zunächst nur für etwa zehn Minuten. Wenn Lehrer in den Schulalltag jüngerer Kinder regelmäßige Bewegungspausen integrieren, hat dies in der Regel einen Aufmerksamkeitsschub zur Folge.
Ein Kind sollte zwei Stunden am Tag körperlich aktiv sein! Leider ist es im Bundesdurchschnitt nicht einmal eine Stunde täglich.
Die zwei täglichen Bewegungsstunden unterteilen sich in:
- mindestens 30 Minuten Alltagsbewegung,
- 1 Stunde Freizeitaktivität,
- 30 Minuten Sport.
Diese verschiedenen Bewegungstypen unterscheiden sich in erster Linie hinsichtlich der Bewegungsintensität. Alltagsbewegungen (wenig anstrengend) sind z. B. zur Schule gehen, Zimmer sauber machen, Treppen steigen oder Fahrrad fahren. Alltagsbewegungen machen einen großen Teil der notwendigen Bewegungszeit aus und strengen die Kinder körperlich nur leicht an.
Freizeitaktivitäten (mäßig anstrengend) das sind z. B. Ball- und Hüpfspiele, Fangen, Toben, Klettern und Versteckspiele. Für das freie Spiel brauchen die Kinder genügend Zeit und Bewegungsraum. Sportliche Aktivitäten (anstrengend) krönen die Bewegungspyramide. Dazu zählen der Schulsport, der Sport im Verein und gemeinsam mit der Familie. Sport unterschiedet sich von den Freizeitaktivitäten vor allem durch die Intensität. Die Kinder geraten außer Puste, Schwitzen.
Eltern können ihren Kindern hier übrigens ein gutes Vorbild sein. Lassen Sie öfter das Auto stehen, ersetzen Sie den ausgedehnten Fernsehnachmittag durch eine Radtour oder regelmäßige Bewegungsspiele - Sie lassen damit Ihren Kids, aber auch sich selbst etwas sehr Gutes angedeihen: Fitsein und bei ihren Kindern ohne die Schule zu vernachlässigen.